„In vielen Organisationen passt Agilität nicht ins Konzept“ - Interview mit Florian Rustler von creaffective

Inhalt: Warum agil sein vielen Organisationen schwer fällt / Empfehlung für agiles Vorgehen: Soziokratie 3.0 / Ein missverstandenes Konzept: New Work / Buchempfehlungen


Interview mit Florian Rustler, Agiler Experte, Trainer und Bestsellerautor. (Homepage / Podcast / Bücher)


© Petra Hennemann


Simon Stäuber: Herzlich willkommen, Florian! Was machst du beziehungsweise was macht deine Firma?


Florian Rustler: Ich bin Gründer und Mitglied der Beratungsfirma creaffective. Wir sind Organisationsentwickler, Berater, Facilitator und Trainer mit der Mission, Firmen zu unterstützen, wirkungsvoller zusammenzuarbeiten und sie dabei zu begleiten. Dabei nutzen wir unter anderem das Vorgehen in Form von Experimenten und Prototypen, um andere Arten der Zusammenarbeit und der Organisation leichter möglich zu machen.


Simon: Wenn ich das Wort „Experimente“ höre, habe ich sofort das Stichwort „Agiles Arbeiten“ im Kopf. Eine Art des agilen Arbeitens, der Scrum-Ansatz, wurde vor 30 Jahren beschrieben. Hast du eine Erklärung dafür, warum das Thema „Agilität“ trotzdem für viele Organisationen neu ist oder sich nicht einfach integrieren lässt?


Schwierigkeit mit agilen Ansätzen, wenn Organisationsdesign ausgelegt ist auf Effizienz


Florian: Agilität bezeichnet die Fähigkeit einer Organisation, sich schnell und effektiv an veränderte Umstände anzupassen. Es geht nicht nur darum, im Wörtlichen Sinne „agil“, also wendig und schnell zu sein, sondern vor allem darum, effektiv auf neue Rahmenbedingungen reagieren zu können. Historisch gesehen entstand Agilität in der Softwareentwicklung mit Methoden wie Scrum, um sich rasch an veränderte Anforderungen anzupassen. Viele Organisationen, die traditionell auf Effizienz und Wiederholbarkeit ausgerichtet waren und sind, finden es herausfordernd, diesen oder andere agile Ansätze zu integrieren, da er oft mit bestehenden Strukturen und Zielen kollidiert. Zum Beispiel mit einem ursprünglichen Unternehmenszweck, der darauf ausgelegt ist immer wieder ähnliche Produkte effizient zu produzieren.


Empfehlung für agile Praktiken: Soziokratie 3.0


Simon: Gibt es bestimmte agile Methoden oder Werkzeuge, mit denen du bevorzugt arbeitest und die auch in eher traditionellen Strukturen gut funktionieren?


Florian: Wir lassen uns oft von dem Konzept der Soziokratie 3.0 inspirieren, das ein umfangreiches Menü an (agilen) Praktiken der Organisation und Zusammenarbeit bietet. Die Auswahl der passenden Werkzeuge hängt jedoch stark von der spezifischen Situation und den Bedürfnissen der Organisation ab. Es kommt dann sehr darauf an: Was ist der Schmerz oder die konkrete Ausgangssituation in der Organisation? Und was soll besser werden oder anders werden durch eine Änderung?
Persönlich finde ich Methoden zur Entscheidungsfindung, wie das Konsent-Verfahren, sehr nützlich. Es wird angewendet, um mit nachvollziehbaren Argumenten in einer Gruppe Entscheidungen zu treffen. Außerdem arbeite ich gerne mit Werkzeugen zur Arbeitsorganisation, wie Kanban, um einfach Dinge zu visualisieren und Transparenz zu schaffen. Gerade das Thema Transparenz ist auch ein Kern von agilen Vorgehensweisen.


Simon: Macht es Sinn, agile Methoden zunächst auf der Teamebene, zur Lokaloptimierung, einzuführen?


Florian: Es kommt auch hier auf die Ausgangssituation an. Man kann teilweise wunderbar auf der Teamebene starten. Der Vorteil ist, dass ich dabei selbst in den größten Organisationen normalerweise niemand besonders fragen muss, sondern wenn das Team sich einig ist, kann es losgehen. Das kann auf der Teamebene schon einen Mehrwert bringen im Sinne davon, dass es Transparenz schafft und die Arbeit leichter organisierbar macht. Damit ist eine Organisation jedoch nicht in irgendeiner Form agil. Der Bottom-up-Ansatz kann jedoch wichtig sein für die Initiierung des Veränderungsprozesses der gesamten Organisation. Die Folgefrage ist dann, ob es ausreicht, das auf Teamebene zu tun, oder ob man nicht besser viel größer ansetzen sollte.


Häufig missverstanden: New Work


Simon: New Work ist im Zusammenhang mit Agilität ein weiteres Konzept, das oft diskutiert wird. Oft heißt das in Organisationen: Es werden die Arbeitsräume umgestaltet. Zum Beispiel gibt es keinen Druckerraum mehr, dafür wird das ein Gemeinschaftsraum, in dem man sich austauschen kann. Das klingt in meinen Ohren etwas kurz gegriffen – wie relevant ist für dich der Begriff „New Work“?


Florian: Der Begriff "New Work" ist leider zu einem Schlagwort verkommen, das oft missverstanden wird. Ursprünglich von Frithjof Bergmann geprägt, zielte New Work auf eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung ab, die den Menschen ermöglicht, Arbeit zu verrichten, die sie wirklich erfüllt. In vielen Fällen wird New Work heute jedoch auf oberflächliche Veränderungen wie die Neugestaltung von Büroumgebungen reduziert, ohne die tieferen organisatorischen und kulturellen Aspekte anzugehen. Eigentlich geht es bei New Work ja darum, die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen ernst zu nehmen und Arbeit sinnstiftender zu gestalten. Mein Empfinden ist, dass meistens das letzte, was es dafür braucht, ein bunt angemalter Kicker-Raum ist. Aber das ist halt das, was am einfachsten als Artefakt irgendwo greifbar und veränderbar ist.


Buchempfehlungen: GTD, Humanocracy, Soziokratie 3.0


Simon: Eine letzte Frage noch: Hast du Buch- oder Blogempfehlungen zu den Bereichen agiles Arbeiten und effiziente Arbeitsorganisation?


Florian: Ich persönlich profitiere stark von Methoden wie GTD (Getting Things Done, David Allen) und dem Einsatz von Checklisten sowie Timeboxing. Für die agilen Ansätze empfehle ich das Buch "Humanocracy" von Gary Hamel und auch das Konzept von Soziokratie 3.0 für alle, die sich für innovative Organisationspraktiken interessieren.


Simon: Vielen Dank für das tolle Gespräch, Florian!


 
 
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